Europan Deutschland

E6: Thema

ZWISCHENORTE, ARCHITEKTUR IM PROZESS ZUR URBANEN ERNEUERUNG

 

WO?

Zwischen der historischen und der modernen Stadt

Die europäischen Städte bestehen in sich selbst aus mehreren Städten. Sie verfügen zumeist über einen stabilen Innenstadtkern mit wertvollem Architekturbestand, hervorgegangen aus der Stadtentwicklung bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein. Zugleich weisen sie aber auch moderne Viertel als Ergebnis der Flächennutzungsplanungen der 60er bis 80er Jahre auf, die aus einander überlappenden urbanen Fragmenten bestehen oder aus zersprengt inmitten der Netze liegenden Großwohnsiedlungen, typischen Wohnvierteln, Gewerbegebieten, Neustädten usw.

Darüber hinaus findet man auch urbane Flächen historischen Ursprungs, die aus, die eigentlichen Stadtmauern überschreitenden, Stadterweiterungen des 18. und 19. Jahrhunderts oder aus den Neuansiedlungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts resultieren, wie Vororte, Industriegebiete, urbanisierte, ehemalige Dorfstrukturen, ehemalige Festungs-anlagen beziehungsweise vormals militärisch genutzte Gelände. Urbane Fragmente, die um alte, ländliche und neue Verkehrswegenetze gruppiert sind und sich mittlerweile zu zwischenräumlichen Fragmenten zwischen den Stadtzentren und den neuzeitlichen Städten entwickelt haben. Nach Maßgabe der jeweiligen Bedürfnisse entwickelte sich die Bebauung Zug um Zug auf dieser Gitterstruktur zu multiplen Räumen, in denen Hochhäuser, Reihenhäuser entlang den Straßen, freistehende Einfamilienhäuser, Industrieanlagen, Lagerhallen, zeitgemäße Verkehrswege usw. entstanden.

EUROPAN 6 schlägt vor, diese Flächen auf ihre latenten Identitäten hin zu erforschen und ihre Entwicklung zu beschleunigen.

 

WARUM?

Nutzungspotentiale und neue Urbanitäten

Diese von der Entwicklung der extensiven Stadt vernachlässigten Flächen, die allenfalls als Transitgelände oder für die Ansiedlung von Dienstleistungsarealen genutzt und lange Zeit sozial und physisch marginalisiert wurden, entpuppen sich heute als strategisch wichtig für die Entstehung eines zeitgemäßen, urbanen Puzzles : dank ihrer Lage und ihres städte-baulichen Erbes, dessen Qualitäten noch auf ihre Entdeckung und angemessene Aufwertung warten, dank der kommunalpolitischen Absicht, mehr soziale Durchmischung in den Quartieren zu gewährleisten und aufgrund neuer Nutzungsangebote können diese Areale der Topos für neue Urbanität schlechthin werden. Diese Urbanität erwächst aus der Kombination bestehender urbaner Werte sowie deren sozialer und kultureller Erinnerungsfunktion und neuer, der Entwicklung neuer urbaner Lebensstile entsprechende Werte.

Diese Veränderung ist die Folge sozialer und räumlicher Entwicklungen, die versuchen von dem Standortvorteil und dem Kontext dieser zwischen den Städten gelegenen Orte zu profitieren :

- Veränderung des Lebensstils, aus der sich die Nachfrage nach abwechslungsreichen Wohnformen in zentrumsnahen Randlagen ergibt, die differenziert auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen (junge Haushalte, Studenten, ältere Menschen) eingehen und die ein bestimmtes Angebot an wohnungsnahen Diensleistungen mit einschließen,

- kulturelle Veränderungen, hervorgerufen durch die stetig wachsende Freizeit und die dadurch steigende Nachfrage nach urbanen Freizeitangeboten wie Kinos, Theater, Cafés und Konzerthallen, sowie sozialen und Sporteinrichtungen,

- Entwicklung zu Orten mit touristischer Bedeutung, sofern die Areale über eine Geschichte verfügen, die es ihnen ermöglicht in einen urbanen, kulturellen Kreislauf eingebunden zu sein, der Räume interaktiver Erinnerung generiert,

- Veränderung der Arbeitsweisen verbunden mit neuen Technologien, die die Schaffung kleiner Hi-Tech-Unternehmen oder qualitätvoller Handwerksbetriebe ermöglicht, die eine gewisse zentrale Lage benötigen oder auch die künftige Entwicklung von Wohnen und Arbeiten berücksichtigt,

- die Entwicklung städtischer Verkehrssysteme, insbesondere der Verkehrsknotenpunkte, die einen reibungslosen Wechsel der Verkehrsmittel (Zug/Straßenbahn, Auto/Bus, P+R – Anlagen etc.) ermöglichen. Die örtlichen Gebietskörperschaften – Stadträte, Stadtplanungsämter sowie Architekten und Planer

- arbeiten bereits mit mehr oder minder großer Intensität an konkreten Konzepten der Stadterneuerung für diese städtebaulichen Situationen. Privatinvestoren interessieren sich mehr und mehr für diese Areale, um den Bedürfnissen einer neuen Klientel gerecht werden zu können. Unter stadtplanerischen Aspekten bieten diese städtebaulichen Situationen Raum zur Erforschung innovativer Entwicklungskonzepte für die Umsetzung und Planung von Stadterneuerung unter Beteiligung von Kommunen und privaten Investoren nach einer sowohl öffentlichen als auch privaten Entwicklungslogik.

 

WIE?

Aufwertung des Bestehenden und architektonische Erneuerung

Aufgrund der Strukturierung durch das Verkehrswegenetz und die hybride Räumlichkeit bieten die städtebaulichen Situationen Bestehendes, Spuren und lebendige Erinnerung an eine gängige Stadtentwicklung, aus der indes von der räumlichen Modernisierung ausgehende Projektsituationen entstehen können, die zu einer komplexen, intensiven, multiplen, modernen und kohärenten Stadt führen. Diese Kohärenz kann erreicht werden:

- Auf der Ebene der Verkehrswegenetze durch Umstrukturierung der bestehenden Verkehrswege und Verkehrsknoten nach Maßgabe zeitgemäßer Morphologien und Fortbewegungs-arten – Öffnung hin zu einer Vielfalt komplementärer Fortbewegungsarten: Pkw, ÖPNV (Bus, Straßenbahn) und Fahrrad.

- Auf der Ebene der Bebauung durch Berücksichtigung der Parzellierung und teilweisen Neuordnung von Grund und Boden nach Maßgabe eines kohärenten Stadtentwicklungskonzepts, durch Verdichtung bisher noch wenig urbanisierter Räume wie Blockinnenhöfe, Baulücken, Areale an der Schnittstelle moderner Verkehrswegenetze, durch Substitution von swertloser, baufälliger Gebäudedurch Neubau, durch Modernisierung von erhaltenswerter beziehungsweise umnutzungsfähiger Altsubstanz, durch städtebauliche Neuordnung heterogener Gebäudekomplexe und Integration ökologischer Erfordernisse in die Architektur.

- Auf der Ebene des öffentlichen Raumes und der Umweltqualität durch Aufwertung bestehender öffentlicher Räume (Straßen, Plätze, Parks, Piazzete, Naturräume), durch Einfügen neuer öffentlicher Räume, die sowohl mit den bestehenden als uch mit den neuen morphologischen Strukturen in Verbindung treten, durch Behandlung der Übergänge zwischen Bebauung und öffentlichen Räumen, durch Landschaftsgestaltung und Ressourcenmanagement.

Aufgrund des schlechten Images dieser oft heruntergekommenen Stadtviertel am Rande des wertvollen Bestands der Innenstädte besteht eine starke Nachfrage nach Aufwertung ihrer Identität durch architektonische Erneuerung und morphologischer Umstrukturierung, typologischer Diversifizierung, Schaffung neuer Qualitäten der Architektur als auch Erneuerung der öffentlichen Räume. Diese Nachfrage bedingt die strategische Rolle für das 6. EUROPAN-Verfahren in diesem neuen « urbanen Markt »..

 

VIER KATEGORIEN VON STÄDTEBAULICHEN SITUATIONEN

Die städtebaulichen Situationen, allesamt in typischen Zwischenlagen, sollten einer der folgenden vier Kategorien angehören :

- die Verlassenen: städtebauliche Situationen, deren Nutzung obsolet geworden ist und die daher neue Entwicklungsmöglichkeiten bieten,

- die unvollendete Stadt: historische oder moderne Vororte, nicht fertiggestellte Siedlungen, heterogen bebaute Siedlungen aus der Nachkriegszeit mit Umstrukturierungs-potentialen,

- absorbierte Dörfer: gewachsene ländliche Strukturen, die von den, sie umgebenden Stadter-weiterungen allmählich absorbiert wurden und in denen neue, verdichtete aber niedrig-geschossige Wohnviertel entstehen können,

- Innerstädtische Peripherie: Gebiete, die im Laufe der Zeit durch mangelnde Vernetzung mit der Innenstadt abgewertet wurden, die durch Einführung einer modernen Verkehrsinfrastruktur (Straßen, Pkw-Stellplätze, Straßenbahn oder Bus, Schnellbahn) wiederbelebt werden können und die die Verbindung verschiedener Fortbewegungsmittel ermöglichen und damit mikro-urbane Polaritäten schaffen.

 

AUSWAHLKRITERIEN…

…für die städtebaulichen Situationen des 6. EUROPAN-Verfahrens

Die städtebaulichen Situationen des 6. EUROPAN-Verfahrens liegen in urbanen Fragmenten, die zwischen einem Stadtzentrum (stabilisierte Stadt) und modernen Stadterweiterungen angesiedelt sind (Großwohnsiedlungen, zeitgenössische Wohnviertel). Diese zu keinem der beiden vorgenannten Kontexte gehörenden Areale (historische und moderne Stadt) verdanken ihre städtebauliche Entwicklungsgeschichte der kontinuierlichen Stadtentwicklung in der Vorkriegszeit und stehen damit im Gegensatz zu der jüngeren, diskontinuierlichen Stadtentwicklung der Nachkriegszeit.

Dabei kann es sich handeln um « Vororte » der zentralen Stadtkerne handeln (Stadterweiterung auf ehemaligen Stadtmauern wie militärischem Gelände, Vororte mit Mischfunktionen, die in einem ersten Ring unmittelbar an ein historisches Stadtzentrum angrenzen, Infrastruktureinrichtungen wie Kasernen, Gefängnisse, Krankenhäuser ...);oder um « Fragmente » in einem ersten Peripheriegürtel (kontinuierliche Entwicklungen von Altstädten auf der Basis bestehender Verkehrswegenetze, ehemalige, in die Stadtentwicklung integrierte Dörfer und Städte unmittelbar am Stadtrand) oder es handelt sich um « Zwischenräume », hervorgerufen durch die Expansion der Städte (hybride, urbane Räume auf der Basis des in die Stadtkerne führenden Verkehrswegenetzes, Viertel zwischen Stadtzentrum und umzunutzenden Gewerbegebieten wie Hafen und Industriegebiete ...).

Morphologisch könnten solche Viertel Stadt- oder Industriefragmente, die partiell oder insgesamt obsolet geworden sind, sein, hybride beziehungsweise unvollendete Stadtfragmente, bestehend aus alten Einfamilienhaussiedlungen, Großwohnsiedlungen ... oder auch ländliche Kontexte, Dörfer, die von der Stadtentwicklung vereinnahmt wurden.

Die städtebaulichen Situationen sollten die Möglichkeit zur Schaffung neuer Morphologien der Bebauung und neuer Bezüge zwischen bebauten Flächen und öffentlichen sowie Landschaftsräumen mit größerer Verdichtung eröffnen.

 

DIE EUROPAN 6 STANDORTE…

… sind Gegenstand einer urbanen Erneurung, die von den Kommunen beziehungsweise verantwortlichen Träger klar unterstützt wird. Diese Stadterneuerung intergriert vier Faktoren:

- Erinnerungsfunktion und Beibehaltung – selbst partieller Art – der Identität des Ortes durch die Aufwertung der Spuren urbaner Struktur oder bestimmter Lebensräume oder historischer Nutzungen;

- Soziale Durchmischung durch ein variables Angebot von Wohnformen für unterschiedliche soziale Zielgruppen und unterschiedliche Nutzungen;

- Modernisierung der Stadt und Stärkung der Entwicklungsdynamik durch Verkehrswegenetze (Straßen-, U-Bahn, P+R-Punkte für den Umstieg vom Auto auf den ÖPNV), durch Bauvorhaben (Kombination von Wohnen und dynamischen, urbanen Nutzungen in Verbindung mit Handel, städtischen Wohnversorgungseinrichtungen, Kultur, Bestandsschutz ...);

- Qualität der Lebens- und Umweltbedingungen durch die Berücksichtigung der Bezüge von Stadt und Natur (Natur in die Stadt vordringen lassen) und ökologischer Aspekte (Nachhaltigkeit und Umgang mit Ressourcen).

Die EUROPAN 6-Standorte verfügen über eine Fläche von 0,5 Hektar (5.000 m2) und 3 Hektar (30.000 m2). Sie bieten insgesamt oder in Teilbereichen Umsetzungspotentiale für eine klar definierte architektonische Aufgabe, die kurzfristig realisiert werden kann. Jedes Grundstück kann ein Fragment sein oder auch aus mehreren unzusammenhängenden Fragmenten bestehen.

Die Grundstücke liegen jeweils innerhalb eines größeren städtischen Gebietes von etwa 10 Hektar (100.000 m2), das sich im Wandel befindet und das von den Teilnehmern zu einer übergeordneten städtebaulich/architektonischen Betrachtung herangezogen werden soll. Es handelt sich jedoch nicht um einen städtebaulichen Wettbewerb, sondern diese Situationen sollen den Wettbewerbsteilnehmern lediglich ermöglich, ihren Entwurf in spezifische städtebauliche Entwicklungen zu integrieren. Das Wettbewerbsprojekt muß sich in den größeren Kontext einfügen und räumliche Verbindungen herstellen.

Die programmatischen Rahmenbedingungen sind frei, sollten indes mehrere, verschiedene Funktionen integrieren: Handel, Arbeitsstätten, Kulturräume, unterschiedliche städtische Dienstleistungen. Allerdings bleibt die Wohnfunktion vorherrschend.

 

Didier Rebois

Generalsekretär EUROPAN